96 Prozent der türkischen Landmasse und 72 Prozent der türkischen Bevölkerung sind einem Erdbebenrisiko ausgesetzt. 75 Prozent der türkischen Industrieanlagen liegen in erdbebengefährdeten Gebieten. Dies sind schon fast einschüchternde Zahlen des aktuellen Berichts, den das „Katastrophen- und Notfallmanagement Direktorats des Ministerpräsidialamtes“ AFAD vergangene Woche dem türkischen Kabinett vorgelegt hat. Auf Grund dieses Berichts hat das türkische Kabinett nun ein umfangreiches Maßnahmenpaket beschlossen, um die Katastrophenvorsorge zu verbessern. Nun ist es nicht so, dass sich die Verantwortlichen in der Türkei des Risikos nicht bewusst wären. 2009 habe ich selbst Vorträge zum BCM an der Universität Istanbul gehalten. Die Herausforderungen, denen sich das Land jedoch gegenübersieht sind enorm. Diese liegen in dem enormen Gefährdungspotential für weite Teile des Landes aber auch den bestehenden Strukturen, wie zum Beispiel großflächigem illegalen Wohnungsbau. Zudem sind sehr viele Gebäude nicht erdbebensicher aus Lehm errichtet. Schon kleine Beben verursachen hierdurch große Schäden. Sogar die Umsiedlung von Menschen aus besonders gefährdeten Gebieten in neu errichtete erdbebensichere Städte wird erwogen. Am Flughafen Istanbul ist 2009 das größte erdbebensichere Gebäude der Welt eröffnet worden. Die Türkei steht vor einer Mammutaufgabe, die nur zentral und koordiniert angegangen werden kann. Dies soll nun offensichtlich geschehen. Wäre dies nicht auch eine sehr gute Gelegenheit für eine intensive internationale Zusammenarbeit, die die Türkei dann auch wieder näher an Europa bringen würde?
Die aktuelle Studie von US-Geologen zeigt die zunehmende Gefährdung der Bevölkerung durch Erdbeben als Folge des Bevölkerungswachstums auf. In der Studie wurden katastrophale Erdbeben (Beben mit mehr als 50.000 Toten) seit 1.500 a.D. untersucht. Die Studie kommt zum Ergebnis, dass auf Grundlage der aktuellen Hochrechnungen für das Bevölkerungswachstum der UN für das 21. Jahrhundert mit 21 katastrophalen Erdbeben (mehr als 50.000 Tote) zu rechnen ist. Eine Verdreifachung gegenüber den sieben katastrophalen Beben im vorigen Jahrhundert. Die Anzahl der Todesopfer könnte sich auf 3,5 Millionen verdoppeln.
Immer mehr Menschen leben durch das Bevölkerungswachstum in katastrophengefährdeten Regionen. Dies betrifft nicht nur Erdbeben, sondern auch Regionen, die durch Überschwemmungen, Tsunamis und Vulkanismus bedroht sind. Gerade haben diese viele Hausbesitzer beim Hurrikan Sandy in New York zu spüren bekommen, die in idyllischen aber stark gefährdeten Gebieten nahe am Wasser gebaut hatten.
Kommt zu diesen Gefährdungen noch ein nicht adäquater Baustil, weil es keine Bauvorschriften gibt, oder diese nicht eingehalten werden, kommt es zu katastrophalen Folgen. Da der Faktor Bevölkerungswachstum nicht gegeben ist, hilft nur in entsprechende Vorsorgemaßnahmen zu investieren und ausreichende Notfallkonzepte für Katastrophen verfügbar zu haben. Die Türkei will sich dieser Herausforderung jetzt stellen.