Wie eine Krisenstabsübung entsteht
Übungen der Krisenstäbe zählen zu den wichtigsten Maßnahmen der Notfall- und Krisenprävention. Notfallpläne sind wichtig, sie können allerdings nicht alle möglichen Szenarien und Szenariokombinationen abdecken. Statt umfangreicher Notfallpläne – die im Notfall nicht gelesen werden – präferiere ich die Kombination von Notfallkonzepten und Notfallchecklisten. Das Krisenmanagement baut auf dieser präventiven Planung des BCM auf und setzt diese entsprechend der Lage um.
Das Krisenmanagement entscheidet bei einer Störung
- ob es sich um einen Notfall, Krise oder Katastrophe handelt,
- welche Führungs- und Entscheidungsgremien die Situation behandeln (Linie oder Krisenstab)
- wie der Krisenstab zusammengesetzt ist
- welche Notfallpläne in Abhängigkeit der Lage wann und in welcher Form umgesetzt werden.
Der Krisenstab muss in kurzer Zeit auf der Basis unvollständiger Informationen und großer Unsicherheit, vielleicht sogar Panik, Entscheidungen treffen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Zusammenarbeit der Personen und Rollen im Krisenmanagement nicht dem Zusammenspiel im Linienbetrieb entspricht. Krisenstäbe, Unterstützungsstäbe und -teams, Protokollanten müssen aber im Ernstfall reibungslos zusammenarbeiten und das auch noch in jeweils dreifacher Besetzung für langfristige Lagen. Meine längsten persönlich erlebten Lagen dauerten zwei Wochen! Ohne regelmäßige Übungen kann dies nicht gewährleistet werden. Krisenstabsübungen, Stabsrahmenübungen oder auch Simulationsübungen gehören daher zum Pflichtprogramm im BCM und Krisenmanagement. Den Übungen jeweils vorgeschaltet sollte ein Training für die Übungsteilnehmer stattfinden, in denen die Teilnehmer in einer “Trockenübung” auf die folgende Übung vorbereitet werden.
Die Durchführung einer Krisenstabsübung besteht aus vier Komponenten:
- Konzeption und Planung der Übung
- Auswahl des Übungs-Szenarios und Erstellung des Drehbuchs
- Durchführung der Krisenstabsübung
- Auswertung und Berichterstellung.
Krisenstabsübungen müssen sehr langfristig vorbereitet werden. Dis gilt insbesondere dann, wenn externe Unternehmen und Organisationen in die Übung mit eingebunden werden sollen. Idealerweise werden BCM- und Krisenstabsübung in einer rollierenden 3-Jahresplanung geplant.
Ein Großteil des Aufwands für eine Krisenstabsübung entfällt auf die Phasen “Erstellung Drehbuch” und “Auswertung, Berichterstellung”.
Ist das realistische und herausfordernde Übungs-Szenario gewählt und beschrieben, beginnt die akribische Detailarbeit zur Erstellung des Drehbuchs. Sehr gute fachliche Kenntnisse, Phantasie und profunde Planungstechniken sind erforderlich, um ein gutes und funktionierendes Drehbuch erstellen zu können. Reale und taktische Zeiten für die Einspielungen sind in Einklang zu bringen. Ich hatte das “Vergnügen”, dies auch noch über drei Zeitzonen übereinander zu bringen. Die ersten Teilnehmer sind gerade aufgestanden, als die anderen Teilnehmer schon Richtung Feierabend strebten.
Die Erstellung der Einspielungen ist tatsächlich “Drehbucharbeit”. Sie müssen einen konsistenten Handlungsstrang wie in einem Film ergeben. Hinzu kommt, dass mehrere alternative Handlungsstränge vorgesehen werden müssen, da im Vorhinein ja nicht bekannt ist, welche Entscheidungen der Krisenstab trifft. Es muss Einspielungen “in Reserve” geben, wenn der Krisenstab sehr fleißig ist sowie Einspielungen zur Verschärfung und Entspannung der Lage, die situationsgesteuert eingespielt werden. Für jede Einspielung ist festzulegen, von wem und wie sie in den Krisenstab eingespielt werden. Dies kann über Metaplankarten, E-Mail, Powerpoint-Präsentationen, Telefon oder Fax durch das Regieteam erfolgen.
Seit diesem Jahr steht mir hierfür die Software Cenario® wellprepared zur Verfügung. Das Tool ist gerade in der neuen Version 4.0 mit zahlreichen Verbesserungen erschienen. Cenario® wellprepared ermöglicht die Erstellung eines Drehbuchs mit Einspielungen. Die Einspielungen (hier “Einlagen” genannt) können zeitgesteuert im Drehbuch als Handlungsstränge abgebildet werden. Zu jeder Einlage können Texte und beliebige Anlagen (Bilder, pdf etc.) angefügt werden. Für jede Einspielung werden Absender und Adressat festgelegt. Einen großen Vorteil spielt die Software während der Durchführung der Krisenstabsübung aus: der Übungsleiter kann die Einlagen gemäß Drehbuch automatisiert ablaufen lassen, den Ablauf stoppen, beschleunigen oder Einlagen situativ erstellen und einspielen. Die Übungsteilnehmer sehen in der Teilnehmersicht die eingespielten Einlagen mit den jeweiligen Anlagen als wären es eingehende Meldungen. Wahlweise können auch die Aufträge der Übungsteilnehmer in der Software dokumentiert werden. Der Ablauf der Übung ist so automatisch lückenlos dokumentiert. Die Drehbücher können im Repository abgelegt und für spätere Übungen wiederverwendet werden. Cenario® wellprepared läuft webbasiert in einem ISO 27001-zertifizierten RZ, kann aber auch lokal installiert werden.
Für die Durchführung der Übung müssen ein Regieteam und Beobachter eingesetzt und organisiert werden. Läuft die Übung zeitgleich an mehreren Orten, kann die Kommunikation zwischen Beobachtern und Regie zu einer echten Herausforderung werden. Für die Beobachter sollte es vorbereitete Dokumentationstemplates und eine Einweisung vor der Übung geben.
Wie man sieht, ganz schön viel Arbeit für vielleicht zwei bis drei Stunden effektive Übungszeit. Und dies unter höchster Geheimhaltungsstufe, damit Übungsinhalte und Übungszeit nicht vorher im Unternehmen “die Runde machen”. Auch während der Übung ist strikt drauf zu achten, dass die Übung nicht ausser Kontrolle gerät und nicht eingeweihte Personen “falschen Alarm” erhalten. Dies kann ganz schnell passieren, da die Übungsteilnehmer erfahrungsgemäß relativ schnell in ihrer Übungsrolle aufgehen und die Realität ausserhalb der Übung vergessen. Der Stress tut dann ein Übriges.
Nach der Übung ist vor der Übung. Die Übung muss ausgewertet und der Übungsbericht geschrieben werden. Was ist gut gelaufen, wo gibt es Optimierungspotential? Welche Maßnahmen sind aus der Übung für das Krisenmanagement und die nächste Übung abzuleiten. Auch dies ist wieder ein zeitaufwändiger Teil am Schreibtisch mit einem Stapel Übungsprotokolle, Aufzeichnungen und Fotoprotokolle.
Doch die viele Arbeit lohnt sich für alle Beteiligte: es ist immer wieder toll mit anzusehen, wie Krisenstäbe von Übung zu Übung professioneller werden. Zudem gibt es kein besseres Mittel um die sagenumwobene “Awareness” für Krisenmanagement und BCM zu schaffen. Nicht nur einmal habe ich die Aussage von Vorständen gehört “es war im nach hinein gut, das wir die Übung gemacht haben und wir müssen dies unbedingt wiederholen”. Dann haben Sie alles richtig gemacht und könne sich an die Vorbereitung der nächsten Übung machen.
be prepared
Ihr Matthias Hämmerle MBCI
0 Responses