Reduktion der Komplexität von Geschäftsfortführungsplänen
Torsten Zacher macht sich aus seiner umfangreichen praktischen Erfahrung im BCM heraus intensive Gedanken um die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen an das BCM. Im aktuellen Gastbeitrag für die BCM-News setzt er sich mit den Schwächen der bestehenden Geschäftsfortführungspläne auseinander und gibt praxisorientierte Lösungsansätze für einen wirkungsvollen und adressatengerechten Aufbau der Notfalldokumentationen.
Einleitung
Die Praxis zeigt immer wieder, dass Geschäftsfortführungspläne (GFP) sehr viele Informationen erhalten, die die Anwender überfordern.
Ein häufiger Kommentar ist immer, dass dieses Dokument in einem Notfall nicht nutzbar ist, da es 50 Seiten umfasst. Viele Informationen werden mehrfach dargestellt. Der Gebrauch ist nicht transparent genug, da nicht alle Mitarbeiter permanent mit gleich hohem Wissensstand zu schulen sind.
Das ergibt gleich die erste Frage: Muss jeder Mitarbeiter alles zum Thema des Notfallmanagements wissen? Alle Mitarbeiter, die keine Rolle in der Notfallorganisation haben, müssen nicht unnötige Informationen erhalten. Allgemeine Informationen über eine Gebäuderäumung/Evakuierung oder auch die Sammelplätze müssen sie selbstverständlich erhalten. Diese Punkte subsumiere ich als klassische Information für die Abwicklung eines Notfalles, ohne das BCM hier federführend tätig sein sollte.
Warum nicht einmal andere Branchen ansehen und die Erfahrungen für die Bearbeitung eines (Not-) Falles nutzen. Ich denke insbesondere an die Checklisten der Piloten. Für jeden Sachverhalt existiert eine eigene Checkliste, insbesondere sind die Aufgaben im “Normalbetrieb” aber auch Notfallsituationen geregelt.
Ebenso besitzt die Kabinenbesatzung (z.B. Purser) im Flugzeug Checklisten, die im täglichen Einsatz sind. Weitere Nutzung finden Notfallchecklisten in der Medizin.
In Situationen, in denen schnell gehandelt werden muss und die Fehlerquote aufgrund der Auswirkungen sehr gering sein muss, finden Checklisten bereits Anwendung.
Lösungsansatz
Wie kann eine Adaption für einen Geschäftsfortführungsplan aussehen?
Es gibt zwei Ordnungsmerkmale, das Ausfallszenario und die benötigten Rollen, die in der Abwicklung des reaktiven Notfalls tätig sein sollen.
Das ergibt eine Matrix:
Rolle 1 | Rolle 2 | Rolle 3 | … | Rolle n | |
Ausfallszenario 1 | |||||
Ausfallszenario 2 | |||||
Ausfallszenario 3 | |||||
… | |||||
Ausfallszenario n |
Generell ist für die typischen BCM-Szenarien eine Checkliste zu erstellen.
Jede im Notfall benötigte Rolle erhält nur die Checklisten die er zur reaktiven Abwicklung benötigt.
Die Checklisten sind zur Abwicklung der Notfälle entsprechend der zeitlichen Reihenfolge der Aktivitäten zu nummerieren.
Zusätzlich sind durch die Checklistenform verschiedene schwere Ereignisse darstellbar, also die Eskalation in die nächste Ebene (eine nachfolgende Checkliste) darstellbar.
Die Anzahl der Checklisten sollte Aufgrund der Übersichtlichkeit überschaubar bleiben.
Beispiele für Checklisten nach Ausfallszenario
Für jedes BCM-Ausfallszenario ist (mindestens) eine Checkliste zu erstellen. Die Kommunikation im Notfall ist hier ergänzend zu betrachten.
Eine sinnvolle Anzahl gibt die Kombination Ausfallszenario und Rolle vor. Sind beim Ausfallszenario wenige Rollen beteiligt, ist eine Checkliste ausreichend; bei mehreren involvierten Rollen sind mehrere Checklisten zur bessren Abarbeitung aufgrund der geringen Informationsmenge.
Beispielsweise wäre bei der Inbetriebnahme der Notfallarbeitsplätze eine Checkliste für das Vorbereitungsteam und eine für das Notfallteam.
Beispiele für Checklisten nach Rollen
Zusätzlich muss der Adressatenkreis der Nutzer der Checkliste klar erkenntlich sein. Im ersten Schritt ist hier zwischen Verteiler “alle Mitarbeiter” und den Notfallteams zu unterscheiden. Weitere Rollen können geschaffen werden. Krisenstab, Evakuierungsteams von Gebäuden, IT Notfallteams usw. sind für sich gesehen ein besonderes Notfallteam und benötigen eine spezielle Checkliste.
Der Verteiler „alle Mitarbeiter“ enthält alle allgemeinen Informationen zu Notfällen. Der zweite Oberbegriff und von besonderer Bedeutung ist die Kommunikation.
Beispiel für die Kombination alle Mitarbeiter und Kommunikation sind die Checklisten „ Ausrufen des Notfalles“ und auch die „Deaktivierung des Notfalles“. Hier zeigt sich die besondere Bedeutung der Matrix Ausfallszenario und Rolle. Die Kombination trägt zur besonderen Transparenz bei. Beispielsweise bei den Checklisten „Ausruf des Notfalls“ und „Deaktivierung des Notfalls“ werden nicht die Mitarbeiter (oder andere interested parties) „vergessen“.
Die Checklisten, wie die Kommunikation zu erfolgen hat, dürfen nicht vergessen werden. Für alle Mitarbeiter reicht hier der Hinweis, dass die Kommunikation über eine zentrale Stelle zu erfolgen hat. Die Mitarbeiter kennen somit die Ansprechpartner (z.B. Krisenstab).
Eine besondere Bedeutung haben die Checklisten, die die Alarmpläne des Unternehmens darstellen. Die Eskalationswege für Störung, Notfall und Krise, insbesondere der Personen, die diese Eskalation vornehmen dürfen, müssen dargestellt werden. Bei Nichterreichbarkeit kann das Überspringen von nicht erreichbaren Mitarbeitern rechtssicher für die Mitarbeiter geregelt werden.
Der Informationsweg über sogenannte dark sites, also wie Mitarbeiter sich auf der Homepage des Unternehmens informieren können, ist hier zu beschreiben. Diese Informationen sollten allen Mitarbeitern bekannt sein.
Zusätzlich sind Kommunikations-Checklisten für die interested parties gut darstellbar.
Der Mitarbeiter erhält Informationen zu den Sammelplätzen (erfahrungsgemäß verabschiedet sich der eine oder andere Mitarbeiter bei einer Gebäuderäumung), wo er sich aufzuhalten hat und wann und wie er Informationen über das weitere Vorgehen erhält.
Jeder Mitarbeiter, der eine entsprechende Rolle in einer Checkliste wahrnimmt, hat diese Checkliste(n) zu erhalten und zu kennen. Somit hat jede Rolle im Notfallteam Kenntnis, was von ihm im Notfall erwartet wird. Die Kompetenzen der Mitarbeiter sind in den Checklisten eindeutig zu beschreiben.
Diese Checklisten sind im Rahmen der Tests und Übungen regelmäßig zu testen und zu optimieren.
Erledigungsvermerke
Nicht zu vergessen sind in den Checklisten die Erledigungsvermerke (inklusive der Meldewege) der einzelnen Punkte. So kann auch das Lagezentrum bei der Abwicklung eines Notfalls den Überblick über die einzelnen, abzuarbeitenden Punkte gut behalten. Hier bedarf es “nur” der Spiegelung der relevanten Meldepunkte an das Lagezentrum, um einen Überblick über die offenen und erledigten Punkte liefern zu können. Diese gegenseitige Bestätigung ist ein zentraler Punkt in der Kommunikation bei der Meldung und Abwicklung von Notfällen.
Wichtig sind notwendige Querverweise auf andere mitgeltende Dokumente. Weitere Querverweise sind Schnittstellen zu anderen Checklisten, die im Anschluss der Abarbeitung der ersten Checkliste weiterbearbeitet werden sollen.
Eine technische Unterstützung, beispielsweise die Nutzung von Tablets und Software, die diese Daten automatisiert senden, ist eine zusätzliche Optimierung.
Reaktives Notfallhandbuch
Für Notfallhandbücher existieren verschiedene Definitionen. Für den Autor ist das reaktive Notfallhandbuch die Summe aller Checklisten.
Eine weitere Unterscheidung ist in dezentrale und zentrale reaktive Notfallhandbücher zu treffen.
Der dezentraler BC-Manager hält dieses für seinen Bereich vor und aktuell. Eine Verteilung an die verschiedenen Rollen hat auch hier zu erfolgen.
Alle Checklisten auf der Unternehmensebene ergeben das reaktive Notfallhandbuch des Unternehmens, welches vom BC-Manager zu pflegen ist. Als Unterstützung empfiehlt sich ab einer gewissen Komplexität der Einsatz einer Softwarelösung.
Fazit
Checklisten sollen die Komplexität der GFP verringern und die Akzeptanz steigern. Das bedarf einer klaren Bezeichnung der Checkliste, eines eindeutigen Adressatenkreises (Rolle) je Checkliste, Erledigungsvermerke, Meldewege und Eskalationsmöglichkeiten. Selbstverständlich sind die Checklisten chronologisch entsprechend ihrer Abarbeitung zu kennzeichnen.
Damit ist eine Sortierung nach jedem Szenario (inkl. der benötigten Rollen) oder nach jeder Rolle, die in einem Szenario benötigt wird, möglich.
Die Meldewege müssen transparent dargestellt werden. Die Aufgaben und Kompetenzen der Mitarbeiter müssen eindeutig geregelt sein. Welche Möglichkeiten haben die Mitarbeiter, wenn eine Hierarchiestufe nicht zu erreichen ist? Darf dann eine Stufe übersprungen werden? Auch die Eskalation von einer Störung zum Notfall kann mittels Checklisten transparent für die Mitarbeiter dargestellt werden.
Die im Artikel genannten Beispiele sollen das Vorgehen plastisch beschreiben. Für eine weitere Diskussion steht der Autor gerne zur Verfügung.
Abschließend stellt sich noch die Frage: Ist das Vorgehen mit der ISO 22301 konform? Dieses ist eindeutig zu bejahen.
Disclaimer
Der Artikel spiegelt ausschließlich die persönliche Meinung und Erfahrungen des Autors wider.
Ich kann Torsten Zacher nur beipflichten und die massive Kerbe, die er hier geschlagen hat, nur vertiefen. Hunderte Seiten Papier sollen vielleicht einen Prüfer beeindrucken(was heute so nicht mehr funktioniert), sind im Notfall aber kein Hilfsmittel, sondern ein Störfaktor. Elementar für eine erfolgreiche Notfallbewältigung sind aus meiner Erfahrung drei Punkte:
– “A-K-V”: eindeutige Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen, allen verantwortlichen Personen bekannt und dokumentiert
– “W”-Fragen und Antworten: wer – macht was – mit wem – wann – womit – wie dokumentiert und an wen zurückgemeldet
– “T&Ü”: Tests und Üben, üben, üben bis die Prozeduren in Fleisch und Blut übergegegangen sind