Anmerkungen zum Draft des BS 11200 Crisis Management
Vor Kurzem hat British Standards den Draft des Krisenmanagement-Standards BS 11200 für die öffentliche Kommentierung zur Verfügung gestellt. Für die BCM-News hat Christian Zänker (zaenker@bcmpartner.de) den Draft tiefgehend analysiert. Seine kritische Analyse lesen Sie in diesem Beitrag.
Die British Standard Institution BSi hat mit dem BS 11200 Crisis Management bereits nach zwei Jahren den Nachfolger der Public Available Specification PAS200 als Draft vorgestellt.
Der Draft des BS 11200 stellt konzeptionell wie inhaltlich eine immense Verbesserung gegenüber dem PAS200 dar. (https://www.bcm-news.de/2011/11/28/pas-200-und-business-continuity-management/)
In ihm wird versucht, die Abgrenzung von Incident und Crisis deutlicher als sein Vorgänger herauszuarbeiten, wobei es neben einem systematischen Vergleich „Table 1 – Distinctions between incidents and crises“ jedoch auch zu pauschalen, unbegründeten Feststellungen kommt, wie „crisis management needs to be able to deal with issues and impacts that might not be manageable within BCM procedures, however well-developed these are“ (3.1.2 The relationship between incidents and crises). Diese wirken willkürlich gesetzt. Man greift auf im BCMS entwickelte Verfahren und Strukturen zurück, will sich aber gleichzeitig wie schon der PAS200 gegen BCM abgrenzen. Deswegen wird auch im ganzen weiteren Standard nicht auf den ISO22301 resp. ISO22313 verwiesen. Naheliegende Querverbindungen und die Vielzahl der gemeinsamen Schnittmengen bleiben bewusst außen vor.
Krisenmanagement wird im ganzen Dokument als eine Kompetenz gesehen, die nur durch den Vorstand als oberster Leitungsebene geleistet werden kann. Dies ist meines Erachtens zu hinterfragen. Wenn durch die Feststellung des Notfalls oder einer Unternehmenskrise die normale Linienorganisation außer Kraft gesetzt wird und mit diesem normativen Akt die Verantwortung auf den Leiter Krisenstab übergeht, muss er diese Verantwortung auch nach Beendigung der Krise wieder in die Linienorganisation, d.h. an den Vorstand, zurückgeben. Wenn der CEO in Personalunion Leiter Krisenstab ist, gibt er sich selbst die Hand. Leider findet diese Problematik im gesamten Dokument keine Würdigung.
Eine weitere potenzielle Schwachstelle offenbart sich in Abschnitt 3.1.3 über die möglichen Ursprünge von Krisen: Der BS 11200 benennt hier (3.1.3.c) latente Probleme der Organisation, die aber allesamt Auswüchse eines fehlerhaften oder gezielt fehlleitenden Managements sind. Und diese sollen dann durch das Management, dessen Versagen sie ermöglicht hat, im Rahmen des Krisenmanagements behoben werden? Da klingt es wie ein frommer Wunsch, dass die Mitarbeiter auf allen Hierarchieebenen des Unternehmens erste Warnzeichen richtig erkennen und ihre unterschiedlichen Gründe verstehen sollen.
Kapitel 3 zu den Grundlagen und Prinzipien des Krisenmanagements stellt denn auch in Gesamtsicht den schwächsten Teil des Standards dar. Aussagen, dass im wirklichen Leben Krisen Ausprägungen unterschiedlicher Ursachen in sich tragen, sind für jeden Praktiker selbstredend und treffen ebenso auf Notfälle zu, die sich in der Regel auch nicht monokausal herleiten und beheben lassen.
Auch dass eine gut gemanagte Krise das Ansehen und die Reputation einer Organisation steigern kann, ist ebenso selbstredend wie, dass das Gegenteil ihr weiteren Schaden zufügt. (3.1.4)
Ebenso ärgern wohlfeile Forderungen, wie dass das Recovery einer Krise, sofort einsetzen, von Anbeginn strategisch ausgerichtet sein und strategisch Möglichkeiten schaffen sollte (3.1.4 Recovery from a crisis, an integral part of crisis management).
Die in Abschnitt 3.1.6 aufgeführten Principles for crisis management sind so schön, dass sie an jeden Spiegel und auf jede Weihnachtskarte passen:
a) Be prepared with clear, and universally understood structures, roles and responsibilities.
b) Achieve control as soon as possible.
c) Build situational awareness by good information management, challenge and collective working.
d) Have a clear and well-rehearsed decision-making and action driving process.
e) Communicate well, both internally and externally.
f) Good leadership at all levels of the organization.
g) Prepare people for a crisis through appropriate training and robust exercising.
h) Learn from mistakes and make changes to prevent their reoccurrence.
These guiding principles are evident in all that follows in this standard.
Im Abschnitt 4 zur praktischen Umsetzung eines Crisis Management erscheinen dann aber doch wieder die guten alten Bausteine, wie man z.B. in einem Horizon Scan potentielle Krisen und andere Unterbrechungen antizipieren kann, die Indizien bewerten und beurteilen und die potenziellen Auswirkungen und zu ihrer Begegnung geforderte Maßnahmen analysieren kann. So soll die Organisation auf das Unvorhersehbare vorbereitet werden, spezifischen Krisenrisiken begegnen und unvorhersehbare Krisen meistern. Und wenn die Organisation alles regelmäßig reviewed und verbessert ist sie gut gerüstet, schnell und gut vorbereitet einer Krise mit den gewünschten Resultaten zu begegnen und sich langfristig strategisch ausgerichtet von der Krise zu erholen.
Dies vor Augen wird so mancher Schwarzer Schwan blass werden und es stellt sich umso mehr die große Frage: was außer der Tatsache, dass man sich nun wirklich nicht auf alle Eventualitäten des Lebens vorbereiten kann, ist Kern des Krisenmanagement?
Erstmals wirklich neu wird der BS 11200 (wie auch schon PAS200) in Kapitel 4.5 Preparation beim Thema information management and situational awareness. Es stellt nicht umsonst als Mittelstück die Verbindung zwischen den drei Schlüsselelementen des Krisenmanagements dar
– Krisenmanagementplan
– Informationsmanagement und Lagebewußtsein
– Crisis Management Team CMT
(Anmerkung: es ist gar nicht leicht, einen adäquaten deutschen Begiff für situational awareness zu finden)
Diesen beiden Schlüsselelementen widmen sich die Unterkapitel 4.5.3.1 Information management und 4.5.3.2 Situational awareness und geben auf einem angemessenem Niveau Anregungen, wie man in Notfallorganisationen, sei es Notfall- oder Krisenstäbe ein Informationsmanagement etablieren kann, das schon bei der Anbahnung von Ereignissen greifen kann und nicht erst ad hoc aufsetzen und der jeweiligen aktuellen Entwicklung hinterher laufen muss. Sowohl beim Notfall- als auch beim Krisenmanagement geht es darum, „vor die Lage zu kommen“ und nicht von jeder neuen Wendung überrascht zu werden – und hierbei kann es von entscheidendem Vorteil sein, wenn man den ganzen Verlauf in einer anderen, längeren Perspektive sehen und bewerten kann.
Der Situation Report (SITREP), nicht jede Abkürzung ist weiterführend, steht nunmehr für das, was im PAS200 noch als CRIP: The Common Recognized Information Picture bezeichnet wurde und was im deutschen Sprachgebrauch als gemeinsames Lagebild bezeichnet wird. Dieser Situation Report kann auch in normalen Zeiten als Bericht an die Geschäftsleitung geleitet werden, der, ja sprechen wir es ruhig aus, aus BCM Sicht zu Risiken, neuen Entwicklungen und potentiellen Gefährdungen Stellung nimmt. In einem Notfall und in Krisenzeiten könnte dieses gemeinsame Lagebild im Lagezentrum unter Leitung des BCM Managers erzeugt und als Informationsfluss in den Stab der Notfall-/Krisenentscheider geleitet werden. Eine Idee, die den Autoren dieses Standards aber nicht kommt.
Das Crisis Management Team CMT ist der Krisenstab als oberstes strategisches Entscheidungsgremium, das in erster Linie die Mitglieder der obersten Leitungsebene umfasst. In ihm sollten dem Leiter (Chair) die Querschnittsfunktionen Personal, Operations, Recht, Kommunikation und Finanzen zur Seite gestellt werden, ergänzt um Supportfunktionen wie den Protokollführer und bei Bedarf andere Querschnittsbereiche wie Facility Management, Sicherheit, Information Security und IT. BCM fehlt auch in dieser umfassenden Liste – ein Schelm, wer böses dabei denkt.
Dem CMT wird jetzt auch in diesem Standard ein Unterbau taktischer und operativer Teams gegeben. Die Pyramide steht somit auch hier.
Kapitel 4.6 „Response – the CMT in action“ beschreibt für den Krisenstab nichts anderes als den gängigen Zyklus der Stabsarbeit. Alleinstellungsmerkmal des Krisenstabs gegenüber den Teams auf den anderen Notfallmanagementebenen besteht laut BS 11200 darin, dass der Krisenstab durch seine Existenz sicherstellt, dass die strategische Recoveryplanung so früh wie möglich einsetzt.
Das Kapitel 4.7 Recovery beinhaltet dann aber nicht sehr viel erhellendes, was hier nun die Leitung durch die höchste Managementebene erforderlich machen könnte, außer, dass es hierbei um die Langzeit- und Schadenswirkungen eines Ereignisses geht und – wie man zum „new ‚normal’“ zurückkehrt. Man braucht den Vorstand im Krisenstab im Effekt dazu, dass er die Krise als Chance ergreifen kann, die Neuausrichtungen vorzunehmen, die er für seine Organisation bereits geplant hatte, oder die er spontan für möglich hält:
„Finally, recovery presents an opportunity to regenerate, restructure or realign an organization. The essence of recovery is not necessarily a return to previous normality. It might mean moving forward towards a model of business and organizational structures that represent a new normality, confronting harsh realities and realizing potential opportunities that might have been revealed by the crisis.“
Wer jetzt denkt, wozu brauche ich das alles, sollte sich durch meine stellenweise polemische Kritik nicht abschrecken lassen. Der BS 11200 bietet zur Hälfte sehr gute Anregungen auf Basis einer wirklichen best practice. Die Kapitel 5 bis 8 sind lesenwert:
5 Crisis leadership
6 Strategic crisis decision-making
7 Crisis communication
8 Training, exercises and learning from crisis
Diese Kapitel machen den Standard zu einem wertvollen Referenzmodell nicht nur für Krisenstäbe, sondern auch für Notfallstäbe und sonstige Stabsorganisationen.
Das einzige Hindernis auf dem Weg zur Integration in einen umfassenden Zusammenhang der Notfallvorsorgeplanung ist eines, das die British Standard Institution hoffentlich in der Endfassung noch aus dem Weg räumen wird. Die Ignoranz gegenüber dem von ihr selbst über die Jahre maßgeblich mit etablierten BCMS, die mir gewollt erscheint und deren höherer Ratschluss mir verschlossen bleibt.
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