Business Continuity Management für geschäftskritische Projekte
Das BCM fokussiert stark auf die geschäftskritischen Prozesse einer Organisation. Projekte werden in der Regel oftmals ausgeblendet, da sie nicht so recht in die BCM-Konzeption passen wollen. Projekte kommen und gehen, sind oftmals für das Überleben eines Unternehmens nicht kritisch und entziehen sich durch die Projektorganisation der Linienorganisation für das BCM. Doch es gibt auch Projekte, die für die Existenz eines Unternehmens lebensnotwendig sind. Die Projekte zur Umsetzung gesetzlicher und regulatorischer Anforderungen (Änderungen in der Bilanzierung, und dem Rechnungswesen, Steueränderungen) gehören hierzu genau so wie Projekte, die auf Grund ihrer Größe bei einem Scheitern die Existenz des Unternehmens gefährden. Im Immobilienbereich gibt es sicherlich ungezählte Beispiele von Unternehmen, die sich an Projekten zum Beispiel durch Baumängel und/oder Zahlungsverzug des Kunden finanziell verhoben haben und nicht mehr existieren. Nicht jeder Unternehmer kann dann einfach nach der Insolvenz ein neues Unternehmen ohne die Altlasten gründen und wie zuvor weitermachen, wie ich dies im Immobilienbereich selbst erleben musste. Großprojekte können also für Unternehmen einen existenzgefährdenden Charakter analog geschäftskritischer Prozesse haben. Mit dem Unterschied, dass sie auf eine begrenzte Zeit angelegt sind. Doch für welche Projekte werden schon Business Impact Analysen und Notfallpläne gemacht. Im Projektmanagement selbst gibt es eine Disziplin des Projektrisikomanagements. Auch im Rahmen von Projektprogramm-Management und Projekt-Governance sollten Projektrisiken analysiert und gesteuert werden. Für ausgewählte geschäftskritische Projekte wäre es aus meiner Sicht eine sinnvolle Maßnahme, diese im Business Continuity Management wie ein Prozess, Produkt oder Service mit zu behandeln. In Rahmen einer BIA werden die Auswirkungen eines Scheiterns oder einer Verzögerung des Projekts für das Unternehmen eingeschätzt und transparent gemacht. In der Projekt-Notfallplanung würden Konzepte und Maßnahmen für eine Verzögerung oder Scheitern des Projekts ausgearbeitet. Im Berichtswesen des BCM würden die Risiken aus unternehmenskritischen Projekten mit berichtet werden. Das Projekt des Flughafens Berlin Brandenburg zeigt, wie desaströs Projektverzögerungen in Kombination mit fehlender Kommunikation über die Risiken und deren Folgen für das Unternehmen selbst, aber auch für die Kunden, werden können.
Die Vorteile einer Einbeziehung geschäftskritischer Prozesse sind:
- Risiken aus geschäftskritischen Projekten werden im BCM mit betrachtet und es entsteht ein gesamthaftes Bild der Risikolandschaft existenzgefährdender Risiken
- Bewährte Methoden und Verfahren des BCM können für die Impact-Analyse und die Notfallkonzeption eingesetzt werden
- Projektrisiken werden im Berichtswesen des BCM mit berücksichtigt
- Projekte werden in der Notfallkonzeption und -planung mit berücksichtigt (zum Beispiel Ausweicharbeitsplätze).
Dieses Vorgehen ist auch mit Nachteilen und Risiken verbunden:
- Im Projektmanagement muss zunächst Akzeptanz für dieses Vorgehen geschaffen werden und die Schnittstellen zum Projektrisikomanagement geklärt werden
- Die Methoden und Verfahren des BCM, wie auch die zeitliche Taktung der Aktivitäten, müssen an die Spezifika temporärer Projekte angepasst werden
- Zusätzlicher Aufwand für das Projekt
- Zusätzlicher Aufwand für das BCM.
Der Mehraufwand ist sicherlich nur für geschäftskritische Projekte vertretbar, die nach festgelegten Kriterien identifiziert werden müssen. Für diese Projekte kann das Instrumentarium des BCM aber sicherlich hilfreich sein.
Im neuen Standard ISO 22301 konnte ich übrigens keine Ausführungen zu BCM für Projekte finden.
Wie ist Ihre Erfahrung mit der Einbeziehung von Projekten in das BCM?
Als ich vor einigen Jahren als BCM-Officer bei General Electric gearbeitet habe, habe ich das Gespräch mit den drei Organisationen gesucht, die im Rahmen von Projekten nach meiner Auffassung BCM-relevante Situationen erzeugten: Das Projektmanagement-Office, der Einkauf und das Produkt-Design. (IT, Facility Management und HR waren sowieso schon im Rahmen der Disaster Recovery Planungen auf meiner Agenda.)
Alle diese Organisationen hatten definierte und dokumentierte Prozesse, in denen notwendige Arbeitsschritte zur Planung, Durchführung und Überwachung von Projekten detailliert beschrieben waren. Viele werden derartige Prozesse kennen. Es war recht einfach in diese Prozesse Prüfschritte für das BCM und aus Sicht des BCM einzubauen, um Informationsbedürfnisse des BCM zu befriedigen und Kontrollen durch das BCM zu gewährleisten.
Ich hatte dabei nie den Eindruck mit meinen Anfragen und Anforderungen unerwünscht zu sein, ganz im Gegenteil. Diese Organisationen hatten den Anspruch möglichst perfekte und sichere Prozesse zur Einführung neuer Produkte, zur Abwicklung und Koordination von Projekten im Allgemeinen oder zur Beschaffung neuer komplexer Produkte oder Dienstleistungen zu führen. Dass dabei mehr Aufwand entstand wurde weitgehend widerspruchslos akzeptiert, weil meine Argumentation nachvollziehbar und wohl überzeugend war, und der Mehraufwand (vielleicht auch wegen meiner alternativen Herangehensweise an BCM) überschaubar blieb. Sicherlich hat es auch geholfen, dass ich mich mit den verantwortlichen Personen persönlich gut verstanden habe.
In meiner Tätigkeit als Berater habe ich allerdings in der Tat selten derartiges an anderer Stelle gesehen, und merkwürdigerweise bei den zuständigen BCM-Leitern sehr viel Skepzis und Widerstand erfahren, so etwas einfach zu versuchen. Ich habe das nie wirklich verstanden, und meine Überzeugung ist bis heute, dass man mit den “Betroffenen” nur vernünftig reden muss, und sie sehen die Sinnhaftigkeit dieser Anforderung ein. Es hängt dabei aber natürlich auch von der hierarchischen Positionierung des BCM-Officers im Unternehmen ab und von der Unterstützung des BCM als Aufgabenstellung durch die Geschäftsleitung. Unternehmen, in denen nur ein Pseudo-BCM im pflichterfüllenden Mindestmaß betrieben wird, werden sicherlich ebenfalls keine Stärkung des BCM-Anspruchs außerhalb der unmittelbaren Mindestanforderungen erlauben.
Für mich selbst ist es jedenfalls selbstverständlich, dass Projektmanagement-Prozesse in das BCM integriert werden müssen, und – wie ich eingangs beschrieben habe – auch keine neue Idee.