Die kritischen Lücken in der Pandemieplanung
Die Herausforderungen in der Erstellung einer funktionsfähigen Pandemieplanung wurde bereits im Artikel zum “Klinik-Workshop” deutlich. Insbesondere die mangelnde Koordination der zahlreichen Pandemiepläne zwischen den Krankenhäusern und Hilfsorganisationen wie auch zu den Dienstleistern wurde in dem Workshop bereits angesprochen. Die Pandemieplanung erfordert hochgradig systemisches und vernetztes Denken und Handeln, um auch nur im Ansatz funktionsfähig sein zu können. Dies zeigt jetzt auch eine Studie des Center for Infectious Disease Research & Policy der University of Minnesota mit dem Titel “Pandemic Influenza, Electricity, and the Coal Supply Chain”. Die Studie zeigt eindrucksvoll, wie der Zusammenhang zwischen der Stromversorgung und der Pandemieplanung übersehen wurde und die Pandemieplanungen hierdurch zur Farce werden können. Die Bedeutung der Stromversorgung für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Versorgung, der öffentlichen Sicherheit und des Geschäftslebens wurde in den bcm-news bereits in zahlreichen Artikeln beleuchtet. Die Pandemieplanungen der Gesundheitseinrichtungen wie auch der Behörden und Unternehmen gehen in der Regel von einer funktionsfähigen Stromversorgung und – wenn überhaupt – nur von kurzfristigen Stromausfällen aus. Die Untersuchung der University of Minnesota zeigt jedoch auf, dass Pandemien zu einem Ausfall der Stromproduktion in den USA führen können, da die durchgehende Wirkungskette von der Kohleförderung bis zur Stromerzeugung nicht in die Pandemieplanung einbezogen wurde. Doch zunächst zur Bedeutung des Stroms für unsere Wirtschaft und unser Privatleben. Die Bedeutung der Stromversorgung wird oftmals unterschätzt, da großräumige und / oder länger anhaltende Stromausfälle in unserer Region selten sind. Vor Kurzem durfte ich allerdings am eigenen Leib erfahren, wie abhängig wir vom Strom sind. Aber spielen wir die Situation eines großflächigen Stromausfalls in Gedanken einfach einmal durch: Bei einem Stromausfall werden Sie diese Zeilen nicht mehr lesen können, da der Bildschirm vor Ihnen dunkel geworden ist und der PC seine Arbeit schlagartig eingestellt hat. Die Lichter sind ausgegangen und Sie tasten sich ins Wohnzimmer, um zu sehen was los ist. Ein Blick aus dem Fenster verrät, daß auch in den Nachbarwohnungen und Häuser kein Licht mehr brennt. Aus dem Fernseher und dem Radio lassen sich keine aktuellen Nachrichten entlocken, da die Geräte am Stromnetz hängen. Das letzte Batterieradio aus dem Bad wurde bereits vor einiger Zeit aussortiert. Leider geht auch das Telefon nicht, da die Basisstationen der Handgeräte auch am Stromnetz hängen. Mit dem Handy geht leider auch nichts mehr, da entweder das Netz überlastet ist, oder die Mobilfunkmasten stromlos sind und daher gar kein Netz mehr verfügbar ist. Sie entschliessen sich, auf jeden Fall erst einmal ein batteriebetriebenes Radio zu besorgen, um auf dem Laufenden bleiben zu können. In der Tiefgarage hat sich jedoch bereits eine Traube aufgeregter Nachbarn vor dem Garagentor gebildet, das sich mangels Strom nicht zum Öffnen bewegen lässt. Der Hausmeister und die Kurbel sind nicht aufzutreiben, da per Handy nicht erreichbar. Nach einiger Zeit gelingt es, das Tor zu öffnen. Doch kaum aus der Ausfahrt heraus beginnt das Chaos. Alle Ampeln sind ausgefallen. An den Tankstellen haben sich lange Schlangen gebildet. Doch weder Pumpen noch Abrechnungssysteme funktionieren ohne Strom. Derweil kommt im Autoradio die Durchsage, daß alle Raffinerien wegen Stromausfall heruntergefahren sind und Treibsoff nur an Hilfskräfte ausgegeben wird. Mühsam gelingt der Weg zum Elektronik Fachmarkt. Parken ist Chaos, da alle Tiefgaragen wegen Ausfall der Automaten, Aufzüge und der Beleuchtung aus Sicherheitsgründen geschlossen wurden. Schnell an der Menschentraube an der Kasse vorbei und das letzte batteriebetriebene Radio ergattert. Doch dann die böse Überraschung and der Kasse. Die elektronischen Kassen funktionieren natürlich nicht, freundlicherweise gibt es aber Ware gegen Barzahlung. Leider hat der Geldautomat wegen des Stromausfalls kein Bargeld herausgegeben. Was tun? Das Radio zurücklegen oder einfach mitnehmen? Waren die Plünderer nach der Überschwemmung in New Orleans doch nicht alles nur verrohte Verbrecher? An eine Fahrt zur Arbeit gar nicht zu denken. Dort sitzt eh nur einsam der Pandemiebeauftragte auf Kisten mit Hygieneartikeln, die auf ihre Verteilung warten. Doch keiner kommt … Dieses Szenario lässt sich in Gedanken weiter spinnen. Was machen die Krankenhäuser, wenn der Diesel der USV zu Ende geht? Wie lange lässt sich die Versorgung und die öffentliche Ordnung in einer Pandemiesituation kombiniert mit einem Stromausfall aufrecht erhalten? Von diesem gedanklichen Ausflug in ein filmreifes Horrorszenario zurück zu den Ergebnissen der amerikanischen Studie über den Zusammenhang der Kohleversorgung mit der Pandemieplanung. Ein großer Anteil der Kohle für die Energiegewinnung in den USA kommen aus dem Powder River Basin (PRB) in den Bundesstaaten Wyoming und Montana. Es gibt weitere Kohlevorräte in anderen Regionen, doch sind die Kraftwerke auf einen Kohletyp eingestellt, so dass sie auf die Versorgung mit dieser spezifischen Kohle angewiesen sind. Rund 50 Prozent der Energieversorgung der USA basieren auf Kohle. Dies gilt insbesondere für die “base-load power”, die für die Stabilität des gesamten Energienetzes erforderlich ist. In der PRB-Region befinden sich 17 Kohleminen der 29 Minen der Bundesstaaten Wyoming und Montana. Es handelt sich um Tagebau mit einer sehr hohen Produktivität. Eine dieser Minen produziert mit 91,5 Millionen Tonnen so viel wie 22 der anderen Minenzusammen. In den 17 Minen sind 2007 6.399 Minenarbeiter beschäftigt gewesen. Hinzu kommen zahlreiche weitere Dienstleister, die für die Wartung des aufwändigen Equipments, Transport und andere Services verantwortlich sind. Viele diese Minenarbeiter sind hochspezialisierte Fachkräfte, die Spezialmaschinen bedienen oder warten. Eine Pandemie hätte gravierende Auswirkungen auf die Kohleproduktion in den Minen. Ein Fahrer eines 400-Tonnen Trucks transportiert 4.000 Tonnen Kohle in einer Schicht. Ein Ausfall von 30 Prozent der Belegschaft würde die Kohleproduktion massiv beeinträchtigen. Die Kohle wird mit Zügen über weite Distanzen transportiert. Der Transport erfordert spezialisierte Fachkräfte auf dem Zug und Dispatscher zur Steuerung. Im Falle einer Pandemie führen Störungen im bereits hochgradig ausgelasteten Transportsystem zu nachhaltigen Störungen des gesamten Systems. Die Untersuchung kommt zum Schluß, dass
- der Zusammenhang zwischen der Kohleversorgung zur Energiegewinnung und der öffentlichen Gesundheitsversorgung in einer Pandemie nicht erkannt ist und in den Pandemieplanungen nicht berücksichtit
- die öffentliche Gesundheitsversorgung auf der Versorgung mit Elektrizität basiert und im Falle des Ausfalls der Stromversorgung ihre Kernleistungen im Falle einer Pandemie nicht erbringen kann.
Die Studie mahnt das Fehlen eines konzeptionellen Frameworks für die Pandemievorsorge an: “Academia, the private sector, and government agencies have not provided a meaningful model or cenceptual framework for pandemic planning in a global just-in-time economy, though numerous ones have depicted how a pandemic might spread, how mitigation techniques might work, and the potential financial impact.” Die Studie spricht für die Minimierung der Risiken für die Stromversorgung in einer Pandemie drei wesentliche Empfehlungen aus:
- Erhöhung der Kohlevorräte
- Einbeziehung der Minenarbeiter und des Servicepersonals in die höchste Prioritätsstufe bei der medizinischen Vorsorge und Behandlung zum Beipiel mit Impfstoffen
- Notfallplanungen für den Ausfall der Lieferketten.
Einen Ausfall von Minen aufgrund eines Stromnotstands hatte Südafrika zu beklagen – es handelte sich allerdings um Goldminen.
Zurückkommend auf die Ergebnisse des “Klinik Workshop” steht zu vermuten, dass diese Ergebnisse vom Grundsatz auch auf die deutsche Pandemievorsorge zutrifft. Eine systemische vernetzte Analyse der Gesamtzusammenhänge, ein Generalplan und die Vernetzung der Einzelpläne unter diesem Generalplan stellt erst eine funktionsfähige Pandemievorsorge sicher. Aufbauend auf diesem Generalplan sind Unternehmen und Behörden in der Lage ihre abgestimmte Pandemieplanung zu erstellen. Gemeinsame koordinierte Übungen von Behörden und Unternehmen der kritischen Infrastruktur , wie dies mit LÜKEX 08 begann, können erst den Nachweis über die Funktionsfähigkeit bringen und wichtige Erkenntnisse für die Weiterentwicklung der Planungen.
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